Goldhelm

Mittwoch, 9.2.1966 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Goldhelm

Programmheft WS 1965/1966:

Die moralisch geradezu verrottete Fabel um das Mädchen »Goldhelm« — ein Straßenmädchen aus dem Paris der Jahrhundertwende, das wegen seiner blonden Haare »Casque d’or« genannt wurde — stellt ein Kapital aus der Unterwelt einer Weltstadt dar. Die gefährliche Betriebsamkeit einer Pariser Zuhälterbande mit ihrem legalen Dirnentum und dem Eigensinn der sogenannten Ganovenehre wird zu einem sinnverwirrenden Spiel entfesselter menschlicher Leidenschaften, in denen die ganze Skala des Zynismus, der »freien Liebe«, der Eifersucht, des Mordes und zuletzt der Gang zum Schafott in einer Ballung impressionistischer Bildeindrücke sich abwickelt.

Dem Regisseur Jacques Becker ist mit diesem Film eine Vollendung impressionistischer Ausdrucksformen gelungen, die in beängstigender Art der Wirklichkeit des menschlichen Lebens nachspürt, daß demgegenüber fast die Erinnerung an den Neoverismus verblaßt. Es wird stumm gesprochen in diesem Film. Die musikalische Untermalung ist fast immer ein monotones Drehorgelspiel. Aber in jeder Szene, die von Robert Le Fèbvre mit künstlerischer Besessenheit eingefangen wurde, knistert und flakkert es, glimmt die Glut des Hasses, und doch ist alles menschlich, lebensnah und selbst in seiner tiefsten Verwerflichkeit erschütternd. Im dramatischen Bereich kann man damit geradewegs zur Tragödie steuern, die sich hier mit der Spannung eines Kriminalfilms entwickelt. Doch es fehlt die menschliche Tendenz, die aus einer traurigen Begebenheit erst eine tragische macht. Der Regisseur dämpfte die dramatischen Akzente und formte aus dem bewegten Geschehen, über das übrigens ein dickes Aktenbündel der Pariser Kriminalpolizei Auskunft gibt, eine verhaltene Ballade von Iyrischem Reiz, die teilweise zur Moritat wird.

»Goldhelm« ist der Film einer Liebe und der Film einer Zeit. Die Kraft eines echten Gefühls, eine unerwartet zarte poetische Stimmung, leuchtet plötzlich in einem meisterhaften Hell-Dunkel-Kontrast zwischen Grausamkeit und Brutalität auf... »etwas zwischen einem Bild des Malers Renoir und Eugene Sue habe ich schaffen wollen«, sagte Jacques Becker, als er von seinem Film sprach.