Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz

Mittwoch, 15.6.1966 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz

Programmheft SoSe 1966:

Ein schönrer Mord ward selten erdacht: am Hochzeitsabend ersucht der Bräutigam die Braut, vor dem Bild der heiligen Gottesmutter niederzuknien und zu beten, denn so hat er sie bei einem seiner ersten Besuche im Hause ihrer Mutter erblickt. Unwillig zuerst folgt sie seinem Wunsch, dann, beim Sprechen des Ave Maria, ergreift religiöse Inbrunst sie, ihr Gesicht verklärt sich — bis sie den Revolver ihres Bräutigams auf sich gerichtet sieht.
»Nicht, Archibaldo, nicht!« kann sie noch rufen, ehe sie unter seinem Schuß zusammenbricht und Blut das Brautkleid rot färbt.

Ein solcher Mord ist kein gewöhnlicher Mord. Solche Morde verübt man im Traum. Und schön wie einen beglückenden Traum hat Luis Buñuel die Sequenz inszeniert: das pompöse Brautkleid, das verklärte Gesicht der Braut, das gelassen-heitere des Bräutigams, ein diffuses Bild seliger Entrückung. Über die Bedeutung der Metaphern gibt jedes Handbuch der Traumanalyse Aufschluß: Feuerwaffen sind Phallus-Symbole, der Schuß und Blut stehen für geschlechtliche Vereinigung.

Mord bedeutet für Archibaldo de la Cruz, den vermögenden Keramiker, höchste Liebeslust, den amour fou, die jedes Gesetz sprengende Leidenschaft. Ohne daß seine Produzenten, die Zensur, das Publikum und die meisten Kritiker es recht bemerkten, ist der alte Surrealist Buñuel seinen Anfängen treu geblieben. Alles ist da, was sein »L’age d'or« von 1930 zum film maudit schlechthin gemacht hat: die Verherrlichung des amour fou, die Verhöhnung von Gesellschaft, Religion, Kultur, der Protest gegen die der Lust feindlichen Institutionen. Daß dies eine Komödie ist, darf nicht täuschen: Hier neutralisiert das Lachen einmal nicht den Widerwillen gegen die Institutionen, sondern die Furcht vor ihnen.