Das junge Mädchen

Mittwoch, 6.7.1966 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Das junge Mädchen

Programmheft SoSe 1966:

Eine kleine Insel an der Küste der amerikanischen Südstaaten. Nur zwei Menschen leben dort, der Jagdhüter und ein halbwüchsiges Mädchen. Der dritte, der Großvater des Mädchens, ist eben am Whisky gestorben. Also muß der Jagdhüter sich um das Mädchen kümmern, und dabei fällt ihm erst auf, daß sie kein Kind mehr ist. Auf diese Insel flieht ein Schwarzer, den man fälschlicherweise beschuldigt, eine Weiße vergewaltigt zu haben. Aus diesen Begegnungen entspringt die Geschichte.
Ewie (das Mädchen) und Miller (der Jagdhüter), auf ihrer Insel am Rande der Gesellschaft lebend, sind in ihrem sozialen Verhalten so ungezwungen wie konfliktlos. Dem Mädchen, das noch kaum mit Menschen in Berührung gekommen ist, ist es selbstverständlich, daß sie dem Hungrigen (dem Schwarzen) neugierig und interessiert zu essen gibt. Und Miller, dem einfältigen Südstaatler‚ ist es ebenso selbstverständlich, daß er auf einen Schwarzen, der sich bei ihm mit Vorräten versehen hat, Jagd macht wie auf ein Kaninchen. Buñuel spielt nicht natürliches Verhalten gegen gesellschaftlich bedingtes aus, eins —ist so spontan wie das andre.
Die beiden verbogensten Figuren treten als letzte auf, sie sind, wenn nicht Repräsentanten der Gesellschaft, so doch viel stärker als die andern drei von ihr geprägt. Um Ewie zu taufen und in ein Internat zu bringen, kommt ein Pastor auf die Insel, dessen zaghafte Menschenfreundlichkeit die Vermutung nahelegt, daß das Theologiestudium seiner Religiosität nicht ausschließlich zuträglich war. (Vielleicht fällt es dem Spanier Buñuel auch schwer, einen andern als einen katholischen Geistlichen für voll zu nehmen.) Der Begleiter des Pastors bringt die Kunde vom entflohenen schwarzen Verbrecher und macht sich mit dem sofort einverstandenen Miller auf die Suche und ans Lynchen. Er weiß es ganz genau: »Ihr Neger habt keine Seele«.
»Das junge Mädchen« ist ein Plein-air-Film. Zunächst im ganz wörtlichen Sinn. Viele Szenen spielen im Freien, inmitten tropisch wuchernder Vegetation, auf einer sumpfigen Insel. Die Vögel kreischen, die Insekten summen, die ganze Szenerie ist mit dem Geschehen auf eine nicht eigens bedeutungshafte, sondern vielmehr ganz natürliche Weise verbunden. Plein-air-Film gilt aber auch in einem weiteren Sinn: in der Umgebung von »Das junge Mädchen« fühlt Buñuel sich offenbar vergleichsweise frei von spanisch-katholischer Sünde-, Glaubens- und Bilderlast. Zwar findet er auch auf dieser Insel allerlei Seltsames, zumal allerlei Getier. In diesem Film aber sind die Schockbilder kaum Schlüsselmetaphern, Buñuel zeigt sie nur so aufmerksam, als erwarte er von ihnen eine besondere Wahrheit.