Ekel

Mittwoch, 24.4.1968 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Ekel

Programmheft SoSe 1968:

„Ekel“, der zweite abendfüllende Spielfilm von Roman Polanski, scheint auf den ersten Blick hin völlig neu zu sein, neu in Beziehung auf das Thema als auch auf den Stil des Filmes. Die drei früheren Kurzfilme Polanskis bilden eine Art Trilogie, die den Titel „Zwei Männer" tragen könnte.
(„Zwei Männer und ein Schrank“, „Der Dicke und der Dünne" und schließlich die Geschichte zweier Männer, eines Schlittens und viel Schnee: „Säugetiere“)
Doch hier jetzt „Ekel", ein Film über eine junge Frau.

Die Geschichte von Carol: Sie ist schön und in einer Weise von ihrer Umwelt distanziert, die eine höchst labile Sensibilität andeutet. Carol lebt mit ihrer Schwester und deren Hausfreund in einer ziemlich muffigen Londoner Vorstadtwohnung. Sie sind Ausländerinnen. Carol, in einem Manikür-Salon angestellt, „erlebt mit phlegmatischem Ekel, wie die labbrig gewordene Körperlichkeit alter, reicher Damen teuer und scheußlich repariert wird“ (Friedrich Luft). Ihre hochgradige sensible Mädchenseele läßt sie die Vorgänge in ihrer Umgebung mit vielfacher Intensität registrieren. Der Weg zum Arbeitsplatz. die Vorgänge im Schönheitssalon, die kurzen Begegnungen mit Colin, einem jungen Verehrer — das alles prägt sie. Und es weckt in ihr die Vorstellung, außerhalb dieser ihrer Umwelt zu stehen, nicht mit einem Zipfelchen ihrer Existenz in sie integriert zu sein. Sie wird begehrt. Doch je mehr Beachtung sie findet, desto größer wird ihr Ekel. Ihr Ekel vor dieser Gesellschaft, ihren Mitmenschen. Sie will sich nicht beugen, sie bekommt Angstzustände, wird wahnsinnig, wehrt sich und mordet schließlich. Und hier erkennen wir, wie Polanski in diesem Film, der wie ein Krankenbericht anmutet, sein altes Thema — die Beziehung des einzelnen zum andern oder zur Gesellschaft schlechthin — wieder aufgreift. Das Leben ist eine Reihung von Kulminationen. Einen dieser Kulminationspunkte aus dem Leben der blonden Maniküre Carol hat er herausgelöst, um ihn als verbindlich darzustellen. Dieser Bericht beginnt unvermittelt und endet abrupt. Er gibt keine Gründe an und setzt anstelle der Kommentare die Demonstration.

So hat Roman Polanski es erreicht, daß er dem Zuschauer mit den Mitteln des Films, ganz besonders mit den Geräuschen, das Seelenleben dieses Mädchens verdeutlicht.
Wohl kaum ein Film hat die Reizbarkeit eben nicht nur des sichtbaren sondern auch der hörbaren Umwelt auf das Wesen einer Person so umfassend demonstriert. So hat auch in dieser Beziehung Roman Polanski dem modernen Film eine neue Dimension hinzugewonnen.