Der Krieg ist vorbei

Mittwoch, 30.10.1968 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Der Krieg ist vorbei

Programmheft WS 1968/1969:

Wer im Film unserer Zeit die große, humanistische Möglichkeit erkennt, die Wirklichkeit zugleich mit modernsten Mitteln zu versinnbildlichen und in dieser Bildwerdung die Forderungen einer „condition humaine“ als Selbstkenntnis zu postulieren, wird „Der Krieg ist vorbei“ als eines der ganz großen, der bleibenden Zeugnisse unserer gegenwärtigen Situation erkennen. . .

„Der Krieg ist vorbei“ ist, dies scheint klar, vorerst ein eminent politischer Film. Nur ein Regime indes, das die Berechtigung der Kunst nach ihrer opportunistischen Schönfärberei, nach der Zwecklüge mißt, kann dieses Werk als anti-spanisch verurteilen. Noch nie hat ein linksintellektueller Künstler die beinahe schizophrene Stellung des exilierten Republikaners zu seiner Heimat im Film deutlicher und wahrhaftiger gezeichnet, als Resnais hier. Für Carlos (Diego) baut sich ein Traum unaufhaltsam ab. Der Verlust dieses Traumes, der sich in Schlagworten erschöpft, die längst durch den Lauf der Zeit überholt und aus der Mode gekommen sind, bedeutet die Krise der Vitalität in der eigentlichen Existenz dieses Mannes.

An diesem Punkte weitet sich denn Resnais Absicht auch über das konkrete Porträt eines desillusionierten Revolutionärs hinaus. Was dieser Film als Schlachtfeld meint, ist unser menschliches Leben schlechthin in dieser Gegenwart des totalen und rasenden Umbruchs aller feststehenden Werte und aller verläßlichen Fixpunkte. Die Krise Carlos’ wird zu einem großartig geschauten Protokoll der männlichen Vitalitätsproblematik überhaupt. Am Übergang vom vierten ins fünfte Lebensjahrzehnt vollzieht sich hier stellvertretend die grausame Gewißheit, daß die Dinge ihren Lauf genommen, sich verändert, uns in so vielem im unerfüllten, idealistischen Glauben zurückgelassen haben. Der Kampf hat keine Sicherheit gebracht, die hier für Carlos vorerst als äußerlicher Mangel evident wird und die doch eigentlich seine nie gewonnene innere Stabilität symbolisiert. Das Verstehen (hier in der politischen Diskussion um das Pro und Kontra eines Generalstreikplanes konkretisiert) ist dem alternden Intellektuellen zum schmerzlich empfundenen Vakuum geworden.

Nicht zuletzt aus diesem Schmerz, der nichts Unmännlich ‚” nichts Sentimentales in sich trägt, werden die beiden Liebesszenen des großen Werkes geboren, die zum Schönsten und zugegebenermaßen auch zum Kühnsten gehören, was jemals auf der Filmleinwand gezeigt wurde. In diesen Szenen, der zweiten, weniger abstrakt aufgelösten vor allem, liegt eine schöpferisch gebändigte Kraft der erotischen Realitätsnähe, die aufrichtet und gerade in ihrer Offenheit sittlich wirkt.

Mit „Der Krieg ist vorbei“ hat Alain Resnais zum großen, welthaften Atem von „Hiroshima mon amour“ zurückgefunden. Seine Modernität, kühn, aber vollkommen logisch in der direkten, hart eingeschnittenen Zitation der zweiten Erinnerungsebene ins Erzählbild der unmittelbaren Realität, führt voll zurück auf den Menschen: den Mann, wie ihn Yves Montand mit bestürzender Stimmigkeit, als Porträt eines vollkommenen Da-Seins gibt. Was Semprun und Resnais hier gelungen ist, steht ohne Zweifel exemplarisch innerhalb der Filmkunst dieser Jahre. Einfach, klar und in einem Bildleib‚ der genau das deutlich macht, was sinnfällig werden soll, gibt dieses schöne, reife und mitmenschliche Werk ein Spiegelbild unserer gefährdeten Männlichkeit. Unsere Revolutionen sind geschlagen, aber es bleibt uns in aller Desillusionierung die Chance, uns als Geschlagene, als Geworfene zu bewähren an unserer veränderten Mitwelt. Diese Erkenntnis sucht Carlos am Ende zu verwirklichen. Daß er dies unternimmt, weist ihn, im Rahmen der verbleibenden Möglichkeiten, als einen Mann aus dem Geiste Jean-Paul Sartres aus.