Anatomie eines Mordes

Dienstag, 2.2.1971 20:00  ! Köhlersaal
20:00 Anatomie eines Mordes

Programmheft SoSe 1968:

Dieser Film strebt in der Tat nicht mehr an, als sein Titel sagt. Auch handelt es sich um keinen Mord mit besonderen psychischen, sozialen oder metaphysischen Implikationen.
Ein Mann hat im Affekt einen anderen erschossen, der eben versucht hat, dessen Frau zu vergewaltigen. Ist dem Täter Unzurechnungsfähigkeit zuzubilligen, da ihn die Mitteilung seiner Frau in Wut versetzte? Oder ist aus dem Umstand, daß etliche Zeit zwischen der Mitteilung und der Tat verging, zu schließen, daß er in voller Überlegung handelte? Wie beurteilen die Sachverständigen den Fall? Der Richter? Die Geschworenen?

Leben gewinnt der juristische Fall durch die Charakteristik der Personen, die mit ihm zu tun haben. Da ist der Mörder, Armeeleutnant, ein scheinbar kühler, entschlossener Mann mit hohen Frontauszeichnungen. Da ist seine Frau, ein knisterndes Bündel Sex-Appeal, dem man die Promiskuität zutrauen möchte, die ihr die Anklage unterstellt. Da ist der Richter, dem eine gelegentliche Abschweifung Freude bereitet. Da sind die aufmerksamen, redegewaltigen Ankläger, die lange Galerie der Zeugen . . . jeder für sich ein glaubwürdiges und lebendiges Porträt. Und da ist vor allem der Verteidiger, ein Freund des Angelsports und bei der letzten Wahl durchgefallener Ex-Staatsanwalt. James Stewart stattet diese Rolle mit jener aufgetragenen Harmlosigkeit und Provinzialschläue aus, die ihn schon in Vorkriegsfilmen kennzeichneten.

Die filmische Realisierung ist ausschließlich darauf bedacht, die vielfältigen Beziehungen zwischen den verschiedenen Figuren sinnfällig zu machen. Zumal in den Gerichtssaalszenen ist beträchtlicher Scharfsinn darauf verwandt worden, auch die jeweils stummen Partner im Bild zu halten. Ein Besetzungsexperiment unternimmt Preminger in fast jedem seiner Filme: . . . Hier läßt er den im Prozeß Armee gegen MacCarthy berühmt gewordenen Richter Joseph N.
Welch als Richter auftreten.