Johnny Guitar - Wenn Frauen hassen

Mittwoch, 4.2.1981 20:30  ! Audimax
20:30 Johnny Guitar - Wenn Frauen hassen

Seminarbegleitheft WS 1980/1981:

Mit vielen anderen ist es mir schwergefallen in "Johnny Guitar", der wohl schönsten Arbeit Nicholas Rays, einen Western zu sehen. Es ist hier nichts zu finden von Western-Mythen, da ist nirgends eine frontier, keine Weite, keine Bewegung.

Hinzu kommt Joan Crawford, eine Frau, die von ihrem eigenen Film-Image her nichts in einem Western verloren hätte. Sie war immer die starke Frau, emanzipiert und selbstständig, die an schwachen Männern zugrunde ging. Ihr haftet nichts an von einer Pionierfrau, sie ist mehr mit einer Gestalt aus der griechischen Mythologie zu identifizieren. Johnny Guitar (Sterling Hayden) hat am Anfang schon seine Revolver abgeschnallt, denn für ihn bedeutet das Tragen und Benutzen der Waffe, trotz aller Perfektion, nicht eine heroische Verpflichtung sich als Mann gegenüber, sondern den Verlust von Liebe. Der Mythos verliert sich hinter der vom Gebrauch der Waffe deformierten Psyche Johnnys. Als er dann wieder zur Waffe greift, wobei die Entfernung Kamera - Johnny die geringste im ganzen Film ist, sieht man Johnny den Zwiespalt seiner Seele ins Gesicht geschrieben.

Es zieht Johnny immer stärker weg von dem männlichen Symbol der Waffe hin zu der mit dem weiblichen Körper identifizierbaren Guitare. Mit dieser Guitare reitet Johnny in Differenz zu allen anderen Western nicht hinaus in eine offene Landschaft, die es zu erobern gilt, sondern in ein begrenztes Tal. Johnny will nichts erobern, nichts erringen, er will zurückkehren, wiederfinden. Er wird zum Orpheus der griechischen Mythologie auf der Suche nach der Liebe seiner Eurydike, die er verloren hat. Das Tal ist nicht nur Ort, wie etwa die Unterwelt der Griechen, wenngleich der Film in seinen Bildern und Farben immer Dämmerung oder Nacht suggeriert, sondern mehr noch Symbol des ewig weiblichen, was Mutter und Frau identisch macht, dem Schoß.

Emma Small, welch bezeichnender Name, die zweite Frau des Films, verkörpert zum einen den Faschismus - sie besitzt den größten Teil des Tales - und zum anderen ist sie auch die Rächerin, todbringend aus dem Bewußtsein ihrer Unterdrückung als Frau Heraus. Sie und die Männer die nachts konmen um Vienna (Joan Crawford) zu Iynchen sind schwarz gekleidet, während das Opfer in unbeflecktes Weiß gekleidet auf sie wartet.

Alle diese Szenen in Rays Film sind so symbolbeladen wie kein Western vor ihm und nach ihm, aber eine eindeutige Botschaft ist nicht aus ihm heraus zu erfahren; kein moralischer Zeigefinger reckt sich. "Johnny Guitar" ist ein Film den jeder mehr mit der Seele, dem Gefühl erforschen muß, denn mit dem Intellekt.

Um meine Anfangsfrage zu beantworten, "Johnny Guitar" ist ein Western. Johnny verläßt am Schluß das Tal durch einen kleinen Ausstieg bei einer Berghütte. Die Geschichte erzählt von einer Wiedergeburt; Johnny wird nach seiner Flucht aus dem Tal sich nach Westen wenden, zur Frontier. Zum anderen liegt der Kampf in diesem Film bei den Frauen; ein Wirtschaftssystem der Ausbeutung löst ein altes ab; eine "emanzipierte" Frau triumphiert über die Puritanerin. Emma Small stirbt in direkter Konfrontation, im Duell mit Vienna; nur ein Prinzip, nur eine Frau kann überleben.

Johnny Guitar ist auch ein sehr brutaler Film und zugleich eine Studie zum Thema Faschismus. Brutal, da alle Figuren im Film vom Tod bedroht. sind, um ihr Leben kämpfen müssen, wie Ratten in einer Überpopulation, die nur überleben können wenn die Starken die Schwachen vernichten. Doch es gibt da keinen Sadismus; Lust und Grausamkeit haben kein Bündnis geschlossen. Es wirkt geradezu logisch, daß der Schwächste, Kindlichste, das "Kind" vom Lynch-Mob getötet wird. Der Lynch-Mob gleicht der Masse, der schweigenden Mehrheit mit ihrem. gesunden Volksempfinden und deren Wunsch nach dem starken "Mann", hier verkörpert durch die Frau Emma Small, die den Nährboden des Faschismus darstellt.

In der Thematik und Farbgebung, Inszenierung und Dimensionierung der Charakterisierung läßt Ray alle anderen Stilrichtungen hinter sich. Wie schon gesagt gleicht die Geschichte Johnnys und Viennas in vielem mehr einer Klassischen Tragödie als einem Western. Rays Inszenierung, Großaufnahmen, Totalen und Bewegungen in schneller Folge, montierend; seine künstlichen, stilisierten Farben und Farbtöne (leider in der deutschen Fassung verfälscht) stellt einen neuen Weg dar.