Die Lady von Shanghai

Dienstag, 14.6.1994 20:00 Audimax
20:00 Die Lady von Shanghai

Programmheft SoSe 1994:

„Sie kennen doch die Geschichte der Lady von Shanghai?
Ich habe von Boston aus den Produzenten Harry Cohn angerufen und zu ihm gesagt: Ich habe eine ganz außergewöhnliche Geschichte für sie, wenn sie mir in einer Stunde telegrafisch 5000 Dollar überweisen, die auf meinen Vertrag angerechnet werden können. Cohn fragte: Was für eine Geschichte? Ich telefonierte von der Theaterkasse. Daneben stand ein Regal mit Taschenbücher, und ich nannte ihm einen der Titel: Lady From Shanghai. Ich sagte: kauf dir das Buch, und ich mache den Film. Eine Stunde später hatten wir das Geld. Dann habe ich später das Buch gelesen. Es war ein Graus.“ (aus einem Interview mit Orson Welles).

Womit Welles noch einmal deutlich bewiesen hätte, daß in einem film noir die Handlung zurücktritt oder sogar völlig zerfällt. Auch sonst weist die Lady von Shanghai sämtliche Ingredienzien eines Film Noir Klassikers auf.

Die „Femme Fatale“ (Rita Hayworth), ein zwielichtiger Anwalt und der Matrose O’Hara (Orson Welles), der der „Gesellschaft von Haien“ nicht so ganz gewachsen ist. Eine morbide Ehebruchs- und Mordaffäre, von Welles meisterhaft in Szene gesetzt — insbesonders die Schlußsequenz im Spiegelkabinett ging in die Filmgeschichte ein.


 

Programmheft WS 1965/1966:

Eine verhältnismäßig leicht durchschaubare Kriminalgeschichte gibt den Hintergrund ab, vor dem ein surrealistisches Panorama der modernen Gesellschaft und ihrer Mythen aufgebaut wird.

Das Geld, die Frau, der Erfolg, Fetische der modernen Massenkultur‚ durchbrechen selbst Liebesszenen.

Orson Welles — Drehbuchautor, Regisseur und Schauspieler, alles in einer Person, schuf ein spannendes Opus. Der Einfallsreichtum des Regisseurs kennt keine Grenzen. Einmalige optische Variationen, raffinierte Effekte verleihen dem Film einen schillernden Reiz und machen ihn zu einem Kunstwerk. Vor allem die formale Seite des Films und die Kunst der Darsteller weisen ihm einen Platz in der Filmkunst zu.


Programmheft SoSe 1962:

Man hat in diesem Drama einen kommerziellen Kniefall von Welles erblicken wollen. Und zwar darum, weil das Mondäne und der pure Sex-Appeal darin eine entscheidende Rolle spielen. Bevor man indessen ins moralische Clairon der Entrüstung bläst, dürfte man sagen, daß hier die unheimliche Dämonie der reinen physischen Attraktion Bild geworden ist. Der Film, der die Liebe zwischen einem Matrosen (Welles) und einer Dame von Welt (Hayworth) schildert, enthält Szenen, die der passionierte Filmfreund zu seinen Paradezitaten zählt. Die wirbelnde Glasscherbenepisode ist Gleichnis gewordene Kettenreaktion der Tricks. Das Rendezvous im Aquariumsaal betrachten wir als einzigartig. Die beiden treffen sich in der Dämmerung. Eine Passantin erblickt die Liebenden mit sichtbarer sittlicher Aufregung. Sie gleitet vorbei. Nun sind sie allein. Ihre Konturen verschwimmen fast. Sie führen ein Schattendasein. Die Fische und Aale hingegen treten plastisch hervor. Das Animalische herrscht in diesem Raum, die sture Stummheit des Triebes. Die Menschen unterwerfen sich, von dunklen Möchten verzaubert. Eine Szene, die haften bleibt, weil sie mit kühnem Bild Abgründe aufreist.

Sonst gibt es Passagen, die etwas gedehnt wirken. Manchmal ist Welles zu lange in eine gewisse exklusive Photographie vernarrt. Indes, zuweilen scheint es, das Schleppende sei gewollt, sei Einladung zur Reflexion. Orson Welles gehört zu den wenigen Filmleuten, die deuten und in ihren Filmen eine (allerdings ziemlich fatalistische) Weltanschauung zum Ausdruck bringen. Er selbst spielt den Naturburschen mit der ihm eigenen Dummheit. Rita Hayworth hat die prickelnde Präsenz, die der Rolle angemessen ist. Offenbar hat ihr Exgatte Welles bewußt die Skala ihres Spiels auf ein Minimum gedrosselt. Ihr Aussehen ist alles; das ist nichts, besonders im Film. Eine „Mobilisierung” ihres Wesens, wie sie in der „Lady from Shanghai" geschah, bleibt jedoch ein Einzelfall, weil dazu eine Verachtung der Konvention und eine kritische Geistigkeit gehören, die in Hollywood nur aus Versehen gedeihen.

(Neue Züricher Zeitung)