Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben

Dienstag, 10.11.1998 20:00 Audimax
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Kann man eine Komödie über den Atomkrieg machen? Ja, so lautet zumindest die Antwort von Stanley Kubrick, der mit der tiefschwarzen Satire „Dr. Strangelove“ den kalten Krieg, die Geltungssucht von Staatsmännern und das amerikanische Militär aufs Korn nahm. Ein Film, der sechzig Jahre nach Kinostart und lange nach Ende des kalten Krieges leider eine ganz neue Aktualität entwickelt. Grund genug, diesen Klassiker einmal wieder (unten sind ein paar ältere Programmtexte gezeigt) ins Programm zu nehmen, der auf intelligente, lustige und schmerzhafte Art die ganze schreckliche Lächerlichkeit des Konzepts Krieg aufzeigt. 


Aus dem Programmheft Sommersemester 2014

Als 'Dr. Strangelove' vor fast genau 50 Jahren entstand, hatte sich die Menschheit nicht nur im Film, sondern auch in der Realität mit der Möglichkeit eines globalen thermonuklearen Krieges auseinanderzusetzen. Für Regisseur und Drehbuchauthor Stanley Kubrick war das Grund genug, das Maß an Galgenhumor in bislang ungekannte Höhen zu steigern - sei es der Präsident, der das Kämpfen im 'War Room' untersagt (Peter Sellers in einer seiner drei besten Rollen), der Offizier, der 'mächtig Ärger mit der Coca Cola-Company' riskiert, um die Welt vor der Auslöschung zu bewahren (P.S.i.e.s.d.b.R.), oder Dr. Seltsam höchstselbst (Malkovich! Nee, Quatsch, auch Peter Sellers, in seiner besten Rolle), der schon mal die pro-männlicher-Kopf-Zahl der Frauen im Führer... ähh, Präsidentenbunker hochrechnet.

Das heimliche Meisterwerk Stanley Kubricks wird historisch ein wenig von der visionären Lebensallegorie von '2001 - A Space Odyssey' oder dem provokanten Sadismus von 'A Clockwork Orange' überstrahlt, setzt aber selbst Maßstäbe durch den teildokumentarischen Stil und die ätzende Respektlosigkeit. Hier erreicht praktisch jeder Protagonist seine höchste Stufe der Unfähigkeit.

BB


Programmheft WS 1991/1992:

General Jack D. Ripper, Herr über eine B52-Bomber Staffel, ist sich absolut sicher: Die Russen haben nicht nur schon alles unterwandert, nein, mit asiatischer Perfidie wollen sie auch an seine „Körpersäfte” (weshalb er schon seit Jahren nur noch in den USA abgefülltes Mineralwasser trinkt) . Der General sieht sich umzingelt und handelt. Zur Rettung der freien ‚Welt beschließt er auf eigene Faust den atomaren „Gegenschlag” und schickt seine Bomber los.

Überflüssig zu erwähnen, daß die Russen zu ihrer Verteidigung gerade eine Weltvernichtungsmaschine in Betrieb genommen haben, der Präsident trotz größten Bemühens nicht in der Lage ist mit seinem sowjetischen Kollegen ein konstruktives Gespräch zu führen, und es einem Bomberpilot (Major „King” Kong) trotz aller Abschussversuche gelingt heldenhaft in das Herz der Sowjetunion vorzudringen.

Doch keine Panik, Dr. Seltsam erarbeitet im strahlensicheren Unterstand des Pentagon Überlebensstrategien.......

Kubricks Botschaft ist eindeutig wie sonst in kaum einem seiner Filme: Wir sind in den Händen von Irren, deren Irrsinn sich hinter ideologischen Schwafeleien verbirgt.


Programmheft SoSe 1983:

Die Rahmenhandlung ist schnell erzählt: Der verrückt gewordene Kommandant eines Luftwaffenstützpunktes der US-Army befiehlt seiner Bomberstaffel, die UdSSR anzugreifen. Der Krisenstab der amerikanischen Regierung tritt zusammen und versucht verzweifelt, den drohenden Atomkrieg zu verhindern. Präsident Muphley ruft mit dem roten Telephon den sowjetischen Premier an. Über den russischen Botschafter erfahren die Amerikaner, in der UdSSR sei eine "Weltvernichtungsmaschine" gebaut worden, die im Falle eines Atomkrieges die Erde radioaktiv verseuchen würde, selbst der Versuch, sie zu entschärfen würde die Katastrophe herbeiführen.
 
Der Zuschauer weiß oft nicht, ob er lachen oder weinen soll. Entscheidet er sich fürs Lachen, so bleibt ihm dieses oft genug im Halse stecken, andererseits ist der Film oft von grotesker Komik.
 
Leider sind die Szenen, die der erschreckte Zuschauer sieht durchaus vorstellbar. Wenn Regisseur Kubrick seinen General Turgetson sich auch so ein "Weltvernichtungsmaschinchen" wünschen lässt oder der russische Botschafter erklärt, seine Regierung habe Angst vor einer "Vernichtungslücke" bekommen, dann ist das eigentlich nur die konsequente Fortsetzung militärischer bzw. politischer Logik.
 
Peter Sellers spielt in diesem Film 3 Rollen. Eigentlich war er noch als Bomberpilot vorgesehen, fiel aber aus. Eine ganz hervorragende Leistung bietet auch George C. Scott als General Buck Turgetson. Es fällt schwer zu sagen, wer besser ist, Scott als Turgetson oder Sellers als halbverrückter Dr. Seltsam. (Auf alle Fälle ist die Figur des Dr. Seltsam Sellers beste Leistung. Meinung d. Verfassers)

NR