Filme aus dem Asien der 90ger

Hatten wir im letzten Semester die Western-Reihe von Stefan im Programm, so möchten wir diesen Sommer quasi mit einer Eastern-Reihe einen Kontrastpunkt setzen.

Damit reagieren wir aber auch auf einen Trend, der sich auf den diversen Filmfestivals schon seit einigen Jahren abzeichnet: Filme aus Asien sind im Kommen. Diese Entwicklung hat sich allerdings bisher noch kaum in den Kinoprogrammen abgezeichnet. Asiatische Produktionen gelangten in der Vergangenheit kaum je in deutsche Kinos.

Einige Ausnahmen bestätigen auch in diesem Fall die Regel, wie beispielsweise Rote Laterne, Lebewohl, meine Konkubine, Das Hochzeitsbankett, Das rote Kornfeld und einige mehr. Diesen Filmen ist eine eher ruhige, besonnene Grundstimmung gemeinsam, eine genaue Beschreibung der Charaktere und eine zumeist weitgehend stilisierte Handlung.
Relativ bekannt sind weiterhin die Kampfsportfilme, die - vornehmlich in Hongkong produziert - in den 70ern die Bahnhofskinos und in den 80ern die Videotheken eroberten, wenngleich sie nicht gerade dazu beitrugen, das Ansehen des asiatischen Kinos zu steigern.
Des weitern gibt es noch das Phänomen Jackie Chan. In seinen Filmen werden die Kampfszenen bis ins Groteske überdreht, die Handlung wird auf die absolut unentbehrlichen Elemente beschränkt und durch eine Fülle guter Gags ergänzt. Mit diesem Rezept ist Chan seit mehreren Jahrzehnten erfolgreich, und sein letzter Schlag First Strike lief selbst in Darmstadt wochenlang im Kino.

Seit einigen Jahren jedoch kommen auch asiatische Produktionen einer anderen Art in deutsche Kinos, wobei es sich vornehmlich um Produktionen aus Hongkong handelt - was sich ja auch in der Filmauswahl unserer Reihe bemerkbar macht. Diese Reihe soll und kann also nicht einen vollständigen Abriß der asiatischen Filmproduktionen geben (was bei nur sechs Filmen ohnehin kaum möglich wäre), sondern demonstrieren, daß Filme aus Asien durchaus intelligent, temporeich und spannend zu unterhalten verstehen, ohne daß dabei der ganz besondere Stil verlorengeht, d.h. ohne daß das Kino "verwestlicht" wird.

Zunächst soll jedoch an dieser Stelle ein kurzer Abriß des Filmstandorts Hongkong folgen - einer Stadt, in der jährlich zwischen 150 und 200 Filme produziert werden, die also an Produktivität selbst Hollywood noch übertrifft.
Die Geburtsstunde der chinesischen Filmindustrie liegt in den 30er Jahren, wobei zunächst nicht Hongkong, sondern Shanghai deren blühende Metropole war und als Hollywood des Ostens bezeichnet wurde.
Als jedoch 1949 Mao in China die Macht übernahm, wendete sich das Blatt, und ein großer Teil der ambionierten Filmemacher Chinas - und mit ihnen enorme Geldsummen - flüchteten in die Freiheit der Kronkolonie, während die Filmstadt Shanghai mehr und mehr der Kontrolle des Staates unterzogen wurde und rasch an internationaler Bedeutung verlor.
In den folgenden Jahren wurde einerseits Hong Kong zum Wirtschaftszentrum, andererseits begann es sich auch kulturell vom Mutterland China abzunabeln und entwickelte - dem starken Einfluß des Westens ausgesetzt - eine eigene kulturelle Identität. Dazu parallel kam es zu einem gigantischen wirtschaftlichen Aufschwung, während in China der Kommunismus regierte, kristallisierte sich in Hongkong der Kapitalismus in seiner reinsten Form heraus.
Für die Filmindustrie bedeutete das, daß die Produktion einzig durch den Markt diktiert wurde, wobei in Hongkong in erster Linie für den Eigenbedarf und das asiatische Ausland produziert wurde und auch heute noch wird. Dies führte zu einer weitgehenden Fixierung auf die besagten Kampfsportfilme in den 70ern, wobei besonderes Kennzeichen für Produktionen aus Hongkong die maßlose, teils bis ins Groteske reichende Übertreibung der Gewalt wie auch der Gags ist.
Auch die Produktionsbedingungen sind oftmals extrem; Filme, die Hollywood-Produktionen in nichts nachstehen, werden häufig in wenigen Wochen gedreht, wobei 20-Stunden-Tage durchaus normal sind.
Mitte der 80er erlebte die Kinolandschaft Hongkongs einen Richtungswandel: neben den Kung-Fu-Filmen etablierte sich der Hongkong-Gangsterfilm, der - häufig unter Verwendung von gigantischen Mengen an Filmblut - ebenfalls Kassenschlager für den heimischen Markt und den mittlerweile etablierten westlichen Videomarkt liefert. Paradebeispiel hierfür sind die Filme von John Woo, der komplexe Charaktere mit der typischen großzügigen Verwendung von Gewalt als Stilmittel intelligent verbindet. Mit The Killer erntete er internationalen Ruhm und wurde auch bald darauf nach Hollywood geholt.

Mit der zunehmenden Akzeptanz im Ausland - wobei die USA mit ihrem doch nicht unbeträchtlichen chinesischen Bevölkerungsanteil uns auf diesem Gebiet weit voraus sind - kam und kommt es zu einer deutlichen Steigerung der Artenvielfalt der Hongkong Produktionen, wobei mittlerweile auch Komödien, Horrorfilme, Hongkong-Remakes amerikanischer Produktionen sowie - was allerdings nicht neu ist, sondern sowohl in Hongkong als auch in China eine lange Tradition hat - Fantasy- und Comicverfilmungen im Programm sind.
Paradebeispiel für den Erfolg solcher unkonventionellen Produktionen sind die Filme Wong Kar-wais, der durch den völlig unkonventionellen Chungking Express 1994 weltberühmt wurde.

Deutliches Anzeichen für die geplante Eroberung des westlichen Marktes ist die Tatsache, daß sich fast alle Darsteller und ein guter Teil der Regisseure amerikanische Vornamen zulegen - das Publikum wäre offensichtlich überfordert, sich die chinesischen Namen zu merken.

Der Filmkreis jedenfalls freut sich auf die Eroberung des deutschen Kinomarkts durch Hongkong Produktionen, und daß der Qualität der Hollywood-Produktionen ein wenig neue Konkurrenz nicht schaden wird, liegt auf der Hand.

Wie allerdings der Filmstandort Hongkong die Angliederung an China vertragen wird, bleibt abzuwarten: während der Schwerpunkt der Produktionen auf unpolitischen Action- und Gangsterfilmen liegt, gibt es in Hongkong seit jeher eine kleinere Gruppe von Filmemachern, die das chinesische System mehr oder weniger offen angreifen, wie beispielsweise Zhang Yimou, Tian Zhuangzhuang, Zhang Yuan, Wang Xiaoshuai oder Ann Hui. Diesen bereitet die Angliederung Hongkongs an China keine große Freude, zumal eine der ersten Aktionen des neuen Regimes die Blockierung der laufenden Produktionen der ersten beiden war. Im Falle von Zhang Yuan wurde sogar dessen Reisepaß von den Behörden beschlagnahmt, um zu verhindern, daß er zur Premiere seines neuesten Werks zu den Filmfestspielen nach Cannes fährt.
Diese Tendenzen werden zwar den weitaus größten Teil der Hongkong Produktionen unbehelligt lassen, doch besteht die Gefahr daß das Spektrum des Hongkong Films in Zukunft dort zu Ende sein wird, wo es politisch wird - keine schöne Aussicht, denn diese Filme werden, obwohl sie kaum je den Weg in die deutschen Kinos finden, auf den Festivals deutliche Lücken hinterlassen.

Da wir mit A Weatherwoman auch einen japanischen Film in unserer Reihe zeigen, möchte ich noch kurz einige Aspekte des japanischen Kinos anreißen. War noch im Nachkriegsjapan das Filmedrehen ein nicht unbeachtlicher Wirtschaftsfaktor - man denke an die Godzilla-Filme oder an die Science Fiction Produktionen, die damals en masse gefertigt wurden - so ist die kommerzielle Bedeutung der Filmwirtschaft im heutigen Japan von eher untergeordneter Bedeutung.
Einzig die in großer Zahl und mit beachtlichem auch internationalem Erfolg produzierten Mangas (Zeichentrickfilme meist phantastischen Inhalts und mit erwachsenem Zielpublikum) spielen hier eine größere Rolle. Bekannteste Produktionen dieser Art sind beispielsweise Akira, der mittlerweile zum Kultfilm avancierte, und Ghost in the Shell, der im letzten Semester auch bei uns zu sehen war.
Nichtdestotrotz gibt es jedoch ein abwechslungsreiches und vielschichtiges Spektrum japanischer Filme der verschiedensten Kategorien, sowie eine beachtliche Anzahl an Independant- und Undergroundfilmen.
Gängiger Weg nach oben ist bei japanischen Filmemachern übrigens das Drehen von Sexfilmen, sogenannten pink movies, die im Land des LÅchelns eine lange Tradition haben und teilweise von beachtlicher filmischer Qualität sind - was aber nicht weiter verwunderlich ist, denn da in Japan das Zeigen von Schamhaar bzw. der entsprechenden Körperteile verboten ist, muß das Publikum eben anderweitig gefesselt werden.
Auch Tomoaki Hosoyama, der Regisseur von A Weatherwoman, arbeitete einige Zeit auf diesem Gebiet. A Weatherwoman ist sein erster langer Spielfilm und ist ein Unikat dadurch, daß die verschiedenen Genres zu einem höchst erfreulichen Film vermischt: Die Verfilmung eines Comics, vermischt mit den Stilmitteln der pink movies, grellen Farben und surrealen Bildern machten diese Low-Budget-Produktion in Japan zu einem der erfolgreichsten Filme des Jahres 1996. Natürlich wurde - ebenfalls eine besondere Spezialität des asiatischen Kinos - sofort eine Fortsetzung produziert und in die Kinos gebracht. Wir hingegen freuen uns, Euch das Original präsentieren zu können und wünschen Euch viel Spaß mit unserer Asien-Reihe!

Michel Götz, 1998