Wo der amerikanische Western ins Stolpern kam und selten mehr tat, als sich im Kreis zu drehen, ließen die Italiener mit ihren eigenwilligen Variationen vom Antihelden das Genre noch einmal zur Hochform auflaufen:
in Sergio Leones Für eine Handvoll Dollar, einem der ersten "Spaghetti Western" überhaupt, kommt Joe (Clint Eastwood) in eine von zwei rivalisierenden Clans beherrschte Stadt. Der einzige, der hier auf redliche Weise sein Geld verdient, ist der Zimmermann, der wohl wissend immer ein paar Särge auf Vorrat hat.
Und Joe sorgt dafür, daß sich daran auch nichts ändert, indem er die beiden Clans raffiniert gegeneinander ausspielt und als lachender Dritter das Geld einstreicht.
AH
Seminarbegleitheft WS 1980/1981:
Die Story spielt in Mexiko nach dem amerikanischen Bürgerkrieg. Das Dorf Sam Miguel wird von zwei sich rivalisierenden Sippen beherrscht: einmal von den Baxters unter der Führung von Sheriff Baxter, des anderen von den Roccos mit ihren Anführern Benito, Esteban und Ramon. Letzterer hat beim Pokern einem gewissen Julian dessen Frau Marisol und das Haus abgewonnen. Da kommt ein amerikanischer Ex-Sergant, genannt Joe (wie alle Unbekannten) in das Dorf. Er erkennt die Macht der beiden sich rivalisierenden Clans, aber auch ihre Schwächen. Er sieht auch Möglichkeiten beide Clans gegenseitig auszuspielen, um mit geringstem Aufwand an die Beute einer Sippe heranzukomen ....
Wie in vielen Italo-Western, wird auch hier japanisches Filmgut kopiert. Vorbild war Akira Kurosawas "Yojimbo" (zwei sich rivalisierende Gruppen von Banditen kämpfen um die Vormacht in einem Ort, ein Dritter zieht seinen Nutzen daraus, in dem er eine Gruppe gegen die andere ausspielt). Als "Für ein Handvoll Dollar" Mitte 1964 vom Verleih angekündigt wurde, verwendete man für den Regisseur Pseudonyme - in Italien war es Bob Robertson, dort war man der Meinung, daß nur Amerikaner Western produzieren können; in Deutschland Georg Schock, hier traute man einheimischer Kunst mehr - bis nach überaus erfolgreichem Start der Regisseur und die anderen Mitwirkenden ihre wahre Identität preisgeben konnten.
Leone fand in der deutschen "Karl May-Welle" und in Corbucci's "Keinen Cent für Ringo's Kopf" keine Vorläufer, sodaß er aus "fremden Leitbildern" und schöpferischer Eigenständigkeit zur "Kraft der Wiederfindung des Western" fand und seine "Dollar-Trilogie" schuf, wobei "Für eine Handvoll Dollar" der erste ist. (Die anderen: "Für ein paar Dollar mehr" und "Zwei glorreiche Halunken (The Good, The Bad And The Ugly)") Sie bedeutet die Wiederfindung des Western aus dem Geist des italienischen Schelmenromans und dem japanischen Samurai-Film.
Leones Western sind die Weiterentwicklung des Genres. Der amerikanische Westerner mußte sich verändern, als er seiner Frontier, der Grenze beraubt wurde. Als die Eisenbahn als Symbol vordringender und alles erobernder Zivilisation das Land überrollt, muß der Westerner vom Soldaten und Einzelgänger zum Kopfgeldjäger "umsatteln". Nach der Zerstörung der Grenze schuf Leone im Italo-Western eine "nachgeschichtliche Zeit", in der es wieder eine Grenze gibt. Statt einer mythologischen ist es eine politische, die Grenze zwischen Mexiko und den USA, zwischen Dritter Welt und Yankee-Imperialismus; Symbol des Nord-Süd-Konflikts. Sie gibt dem Italo-Western seinen Ort und die Bewegung um diesen Ort. Seine Helden sind Männer, die stets bereit sind diese Grenze in der einen oder der anderen Richtung zu überschreiten, wie in einer Welt ohne gesellschaftliche Macht und Ordnung. "Es ist wie ein Cowboy- und Indianerspiel", wie es Joe in "Für eine Handvoll Dollar" erfährt.
Leone versucht in seinen Filmen nicht dem Zuschauer irgendwelche Symphatie für den Helden nahezubringen. Der Zuschauer soll die gewaltsamen Reaktionen der Protagonisten mit Distanz beobachten, weil sie sind und handeln wie die Welt ist: BRUTAL.