Die mit der Liebe spielen

Mittwoch, 13.1.1965 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Die mit der Liebe spielen

Programmheft WS 1964/1965:

Auf dem Festival in Cannes 1960 wurde Michelangelo Antonionis »L’AVVENTURA« vom Publikum mit Pfiffen und Buhrufen bedacht, die an Intensität alles herkömmliche Maß von Ablehnung hinter sich ließen. Der Film, der solch ungewohntes Ärgernis erregte, fand aber auch seine Verteidiger.

Diese zwiespältige Aufnahme, die Antonionis Film fand, sagt schon viel über seine Besonderheit aus. Antonioni ist ein schwieriger Regisseur; seine Filme verlangen Mitarbeit des Zuschauers, sie fordern Verständnis für eine subtile, mit Andeutungen und indirekten Mitteln arbeitende Formsprache. Den aufs Konventionelle eingeschworenen Filmzuschauer mag freilich vexieren, daß in L’AVVENTURA eine wichtige Person — die Verlobte des Helden - unter rätselhaften Umständen einfach verschwindet, ohne daß die Frage nach ihrem Verbleiben auch nur im geringsten geklärt würde; statt dessen bietet sich ein Durcheinander von falschen Fährten, unsicheren Mutmaßungen und vagen Andeutungen. Während der Held, Sandro, noch nach seiner Verlobten sucht, beginnt er — weiterer schockierender Umstand — eine Liaison mit deren bester Freundin; eine große Leidenschaft scheint sich anzubahnen; doch auch diese Verbindung ist für Sandro, trotz gegenteiliger Versicherungen, schließlich doch nur ein weiteres »Abenteuer«.

Systematisch zerstört der Film das Porträt seines »Helden«: Am Anfang noch manierlich-adretter Beau, steht Sandro zum Schluß als die Inkarnation menschlicher Schwäche da. Man könnte »L’AVVENTURA« auch eine moderne »Education sentimentale« nennen. Doch wichtiger noch als die Polemik gegen gewisse aktuelle italienische Zustände ist das Gefühl der Bedrohtheit, der Unsicherheit, der Einsamkeit, des jederzeit möglichen Umschlagens von Meinungen und Gefühlen, das der Regisseur in den Personen seines Filmes bloßlegt. Hier werden die Wurzeln einer tiefer liegenden Malaise berührt, die nicht in wenigen Worten zu beschreiben ist. Und wie Antonioni diese innere Verfassung seiner Helden deutlich macht, wie er sie aus Gesten, Blicken, Stellungen, aus Kamerabewegungen und der Tönung der Photographie, nicht zuletzt auch aus der Musik entwickelt, das macht die formale Modernität dieses Filmes aus. Die klassische Linearität der Fabel wird in L'AVVENTURA zerstört; an ihre Stelle tritt die Analyse unscheinbarster Vorgänge, in denen plötzlich verborgene Nuancen anklingen. Antonioni gehört mit Alain Resnais zu den Regisseuren, die die Ausdrucksmöglichkeiten der Filmkunst am meisten denen des modernen Romans annähern.