Der Prozeß der Jeanne d'Arc

Mittwoch, 18.5.1966 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Der Prozeß der Jeanne d'Arc

Programmheft SoSe 1966:

Die Protokolle des Prozesses von 1431 sind die Grundlage des Films. Bresson hat die Originalniederschrift der Verhandlungen selbst bearbeitet: »Ich habe nur das Wesentliche stehenlassen. Ab und an habe ich ein wenig die Reihenfolge verändert. Ich habe die Sätze rhythmisiert. Das Besondere an diesem Film ist, daß der Satzrhythmus den Bildrhythmus bestimmt.« Auf diese Weise läßt sich sagen, daß jedes Wort im Film vor 530 Jahren tatsächlich gesprochen worden ist. Doch führt diese Feststellung in die Irre. Denn weder rekonstruiert der Film den originalen Prozeß, noch erhebt er darauf den geringsten Anspruch. Ganz im Gegenteil.
Obwohl der Film nur runde siebzig Minuten lang ist, hängen Rede und Gegenrede so hastig hintereinander her, als ob es ihnen an der Zeit fehlte. Schlagfertigkeiten und Spitzfindigkeiten wechseln so jäh, daß man Mühe hat, sie zu begreifen. Bis man etwas ganz anderes begreift: es ist nicht der Sinn der Dialoge — es ist der Hintersinn, den uns der Film vermitteln soll. Dann bricht strahlend aus dem Innern die Wahrheit von Johanna, dem »höheren Wesen. Sie überzeugt uns, besser als jedes Wunder, von dieser Welt, zu der sie so übernatürlichen Zugang hatte.«
Die Dialoge haben also keine unmittelbare Funktion. Sie haben, statt dessen die Aufgabe, als gestalterisches Mittel den Rhythmus des Films zu bestimmen. Die Darsteller sprechen daher ihren Text nicht, sondern zitieren ihn...
Ein Nachrichtensprecher liest so die ungeheuerlichsten und banalsten Informationen herunter. Diese Methode, das menschliche Wort zu verwenden, hat natürlich nichts mit der Brechtschen Verfremdungstheorie zu tun. Nicht die Vernunft wird im »Prozeß der Jeanne d’Arc« angesprochen: von Gerechtigkeit, Erleuchtung und von der Gnade wird gekündet. Für Bresson paart sich sogar die Vernunft mit der Ungerechtigkeit. Will er doch zeigen, »die Ungerechtigkeit, die das Gesicht der Gerechtigkeit annimmt; die trockene Vernunft, die das Gesicht der Gnade annimmt«.

So wie Bresson das Wort seines konkreten Sinnes und damit seiner Bedeutung beraubt, so nimmt er seinen Personen die Individualität und die menschliche Bedeutung. Menschen braucht er nicht: »Ich brauche nur Gesichter und Körper, die durchscheinend wirken sollen.« Seine Darsteller dürfen daher nicht spielen. Er fotografiert lieber karge Gestalten und starre Blicke von Laiendarstellern. An Stelle der Mimik und der spontanen Mitteilung tritt die Pose und zeremonielle Bewegung. Uniforme Trachten verurteilen schon äußerlich jeden Ansatz zu konkreter Persönlichkeit. All dies, um den Blick freizulegen auf Gottes Wirken und Gottes Gnade hinter allem Menschlichen.