Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt wo Gewalt herrscht

Mittwoch, 24.5.1967 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Nicht versöhnt oder Es hilft nur Gewalt wo Gewalt herrscht

Programmheft SoSe 1967:

„Der größte deutsche Film seit Murnau und Lang?“ Ganz gewiß nicht. Die Irrtümer sind ärgerlich. Vor allem die Darstellerführung oder vielmehr die Abwesenheit einer solchen.
Schlecht rezitiert ist noch nicht gut verfremdet, wie Straub, der sich im Vorspann auf Brecht („Anstatt den Eindruck hervorrufen zu wollen, er improvisiere, soll der Schauspieler lieber zeigen, was die Wahrheit ist: er zitiert“) beruft, zu glauben scheint. Ärgerlich sind Straubs Irrtümer deshalb, weil sie den Blick auf das verstellen, was an seinem Film gut und neu ist. Das ist: eine Erzählstruktur und eine Optik, die zusammen das leisten, worin die „Schauspieler” versagen, durch Zitieren die Wahrheit zu zeigen. Kein deutscher Film hat bisher so eindringlich an die Nazizeit erinnert, keiner auch die geistige Atmosphäre der rheinischen Provinz so genau evoziert, wie ein paar Bilder bei Straub, eben weil dieser sich nicht unterfängt, die Vergangenheit zu rekonstruieren oder auch nur die Gegenwart zu imitieren, sondern die Wirklichkeit in Partikeln zitiert und diese so fügt, daß die Vorstellungskraft des Betrachters aktiviert wird (oder würde, wenn ihn das Geleier der Laienakteure nicht verbiesterte). Straubs Bildsprache ist gegenüber Machorka-Muff wesentlich gereift. Sie bietet nicht das Abbild der Wirklichkeit, sondern in ihm die Spuren der Anwesenheit von Menschen: kaum eine Einstellung, die sich nicht, während sie steht, „entleerte“, Platz ließe für den Gedanken, kaum eine, die nicht am Ende zugemacht würde, Identifikation verhindernd, der
Lüge der Kontinuität sich verweigernd.

nach Filmkritik 8/1965