Kuckucksjahre

Mittwoch, 17.7.1968 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Kuckucksjahre

Programmheft SoSe 1968:

George Moorse wurde am 1. Mai 1936 in New York geboren.
Er besuchte dort die höhere Schule und begann 1956 für Zeitungen zu schreiben. Daneben widmete er sich der MaIerei und stellte in New York aus.
1957 ging er nach Griechenland. Seit 1957 wohnt er in Deutschland und machte folgende Filme: 1964 ln-Side-Out; Zero in the Universe 1965; Sieben Frauen (in Vorbereitung.)
Der letzte Film von George Moorse „Kuckucksjahre" trägt unverkennbare Züge von Neojugendstil, nicht nur, weil Moorse Jugendstilaccessoires verwendet. Er zeigt Pop als Konsumkunst‚ die sich um die Verschönerung des alltäglichen Lebens kümmert und sich richtet gegen Stagnation, Gleichmaß und Farblosigkeit. Die Popularisierung schöner Frauen war das wichtigste Postulat in den Programmen von Jugendstilleuten. Er pervertierte unter dem Druck einer Industrie, die es infam verdrehte, indem sie alle Gebrauchsgüter zum besseren Absatz mit einer Kunstaura umgab.
Der Pop, so hat es den Anschein, stellt den Jugendstil wieder auf die Beine. Zwar nicht im Sinne seiner Erfinder, aber auf jeden Fall insoweit, als er seinen Konsumcharakter offen eingesteht‚ und vor allem, indem er, statt sich von der Industrie terrorisieren zu lassen, diese mit seinen rasend schnell wechselnden Einfällen nicht schlecht in Atem hält.
Seine Einfälle sind allein deshalb unberechenbar, weil sie nicht Erfindung von Neuem sind, sondern nur möglichst skurrile Arrangements von Vorhandenem . . .
Seine Figuren sind fröhliche Schmarotzer, die, im Gegensatz zu ihren Alten, die auch keine Illusion mehr haben, das unumwunden zugeben und von der Tabula-rasa Situation profitieren. Ihre ganze Energie verpulvern sie damit, zu beweisen, daß sie keine Bindungen haben, daß sie niemand reinlegt. Das mag bieder klingen oder gar nach Forderungen von aufbauender Kritik riechen. Aber daß das Gefühl von sinnloser Bewegung latent vorhanden ist, beweist in Moorses Film die Hauptfigur, Hans. Er stolpert von einer Geschichte, von einer Umgebung in die andere; ständig verwundert, daß immer alles anders ist, als er es sich eben noch vorstellte.
Erst nachher merkt er immer, daß er an einer entscheidenden Stelle irgend etwas mißverstanden haben muß, daß er sich falsch verhielt.
Moorses Kuckucksjahre ist so etwas wie Heinrich Manns „Schlaraffenland“ siebzig Jahre später, nur daß Moorse die Profitgier „seiner Gesellschaft" nicht erst zu denunzieren braucht. Sie tut es selbst. Ansonsten gibt es viele Ähnlichkeiten und Parallelen: die Neigung zur Karikatur, zum Kabarett, zum Gag, das Bemühen, die Lacher auf seine Seite zu bringen, und vor allem der Umstand, die Dinge so direkt, wie sie einem aufgefallen sind, fast ohne Transposition, in den Film einzubringen.

(Frieda Grafe in Filmkritik 9/67)