Der Große Bluff

Mittwoch, 23.10.1968 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Der Große Bluff

Seminarbegleitheft WS 1980/1981:

"Destry Rides Again" (Der große Bluff) ist keineswegs, wie es häufig andere Kritiken behaupten, eine Parodie auf das Westerngenre, es ist vielmehr ein Western par excellence. Er beinhaltet zwar viele belustigende Szenen und eine Menge Ironie, bildet aber damit keine Ausnahme zu Filmen des gleichen Genres. Man kann wohl sagen, daß er das Genre um die Elemente Irorie und Sex-Appeal bereichert hat; eine Bereicherung wie andere Western des Jahres 1939 es auf anderen Gebieten auch taten. Desgleichen beabsichtigt "Destry Rides Again" keine Entmythologisierung des Genres wenngleich ein hohes Maß an Realismus und Authenzität in ihm steckt.

"Destry Rides Again" steckt voller Mythen und wenn sie noch keine waren, so wurden sie mit ihm erschaffen. Da ist zum eine der "einsame" Held, der für Recht und Gesetz sein Leben wagt. Da ist die ängstliche und somit wehrlose Masse. Der Saloon ist Zentrum des gesellschaftlichen Lebens in einer Männergesellschaft. Der Saloon ist gleichzeitig auch Heimat einer der wichtigsten Westernfiguren, der Hure mit Herz, die im Kampf um den Helden in Konflikt und Konkurrenz mit der Frau aus dem Osten, wo Zivilisation und Kultur schon etabliert sind, gerät. Der Held hat die Wahl zwischen einer Frau von exotischer Herkunft (Frenchy), die ein positives Verhältnis zur Sexualität und den Vergnügen des Mannes, dem Spiel, dem Kampf und sogar zum Alkohol, hat, und der WASP-Frau (White Anglo-Saxon Protestant) mit ihren puritanischen Vorstellungen von der Moral. Western-Mythen ohne Zahl.

Destry jr. besitzt das Äußere eines addretten jungen Mannes mit guten Manieren, dem man eher die Fähigkeiten eines Bankkassierers oder bestenfalls eines Methodistenpredigers zutraut als für Recht und Gesetz in einer gesetzlosen Stadt zu sorgen. Aus der Erfahrung heraus - sein Vater, ein berühmter Sheriff, wurde von hinten erschossen da ihm im offenen Duell keiner gewachsen schien - versucht Destry mit subtileren Mitteln als den Colts dem Recht in "Bottle Neck" Respekt zu verschaffen. Seine verbalen Drohungen: "Ich kannte mal einen Kerl, der ..." bekräftigt er indem er fein säuberlich Holzköpfe aus einiger Entfernung von einem Ladenschild herunterschießt.

Seine Methode der subtilen Einschüchterung findet aber bei den von Kent geführten Stadt-Banditen keine Resonanz. Der unausweichliche Kampf mit der Waffe bleibt unausweichlich und beginnt als die Banditen einen Freund Destrys hinterücks niederschießen.

Die zweite große Figur ist Frenchy, Barsängerin und zu Beginn die Freundin des Obergauners Kent. Sie ist die Hure mit Herz, der von der Dietrich eine erotische Ausstrahlung mitgegeben wird, wie noch keiner Frau im Western vorher. Frenchy ist auf der Suche nach dem "richtigen" Mann. Ihr Sexualverhalten, ihre Kleidung, ihre Lieder zeugen dabei nicht von Emanzipation, sondern es sind die Mittel der Exotin im Western ihren Mann zu finden.

Der Konflikt um die Gunst Destrys, in den Frenchy mit der Frau aus dem Osten gerät, findet sehr zum Gaudium der Männer seinen Höhepunkt in der Klassischen Prügelszene zwischen Frenchy und der Frau aus dem Osten im Saloon statt. Der gesamte Film ist als versuch zu verstehen, die glorifizierte Gestalt des Gunman auf intellektuelle Weise zu relativieren. Es ist die Fabel vom unterschätzten kleinen Mann, dem idealen Kontrahenten der Männer mit den Waffen; wehe wenn auch der kleine Mann seine Macht erkennt und seinerseits zur Waffe greift.


 

Programmheft WS 1968/1969:

Es wäre doppelt geschmeichelt, Bottle-Neck eine Stadt im Westen Amerikas zu nennen. Denn was sich so nennt, ist eine Ansammlung von Holzbuden, von Pferden und Halunken. Und was den Westen betrifft — hier ist das Beiwort „wild“ bestimmt unvermeidlich. Dafür sorgt allein schon Kent mit seinen Spießgesellen. Kent, das ist ein smarter, ein allzu smarter Bursche, der praktisch alle in Bottle-Neck nach seiner Pfeife tanzen läßt. Er spielt nicht nur mit Karten und mit Würfeln, sondern genauso eiskalt auch mit Menschenleben. Und Frenchy hilft ihm dabei.

Frenchy muß man gesehen haben! Sie ist wie Dynamit, die kesse Blondine. Im Salon, an der Bartheke und am Spieltisch hört alles, was Hosen anhat‚ nur auf ihr Kommando. Und wenn sie erst ihre frechen Chansons singt, dann werden die rauhen Gesellen verrückt — und Kent kann sie um so leichter übers Ohr hauen. So wie jetzt beim Handel mit Lem Claggett, dem er mit ein paar gemeinen Tricks seine Ranch abgaunert, um den anderen Viehzüchtern für den Durchzug ihrer Herden künftig hohes Wegegeld abzuverlangen. Und natürlich ist Frenchy dabei nicht unbeteiligt. Als sich der Sheriff einmischt, wird er von Kents Leuten erschossen. Zu seinem Nachfolger Iäßt der scheinbar allmächtige Kent den notorischen Trunkenbold Dinsdale bestimmen. Doch er täuscht sich, wenn er geglaubt hat, in dem Alten ein gefügiges Werkzeug für seine dunklen Machenschaften zu haben. Denn Dinsdale wird zur größten Verblüffung aller plötzlich unangenehm nüchtern. Und er sieht ganz klar, daß er allein mit dem Gesindel hier in Bottle-Neck nicht fertig werden kann. So holt er als Hilfs-Sheriff den Sohn eines alten Freundes, Thomas-Jefferson Destry jr., in die kleine Stadt an der Grenze...

Der „Evangelische Film-Beobachter“ schreibt unter anderem: „Wenn Marlene mit den Wimpern klimpert und mit verworfener Stimme im gräßlichsten Kauderwelsch dem Publikum ihre Liedchen vorträllert, um sich gleich darauf an einer Amazonenschlacht zu beteiligen, dann wieder ihre Beine ins rechte Licht zu rücken, wenn ein (damals) junger und noch nicht zum Typus abgestempelter Schauspieler (James Stewart) auf den ersten Sprossen seines Ruhmes steht und seine Rolle mit echtem Leben erfüllt, wenn ein schmissiges Drehbuch für Spannung und Erheiterung sorgt und wenn ein Regisseur dies alles mit einem kraftstrotzenden Milieu umgibt, dann gibt es Beifall auf offener Szene. Warum? Weil hier echte Atmosphäre geschaffen wurde, weil man noch den Mut zum Experiment hatte, weil hier gearbeitet, gestaltet wurde, weil man sich noch nicht in der öden Einbahnstraße der Serienproduktion befand.“