Privilege

Mittwoch, 14.5.1969 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Privilege

Programmheft SoSe 1969:

Eine weinende, johlende Menge junger Mädchen mit verklärten, tränenüberströmten Gesichtern wartet auf den Auftritt des Pop-Singers Steve Shorter. Auf dem Podium ist ein Käfig aufgebaut, dicke Polizisten bewachen ihn. Sie führen Steve, der stilisierte Sträflingskleidung trägt und an den Händen gefesselt ist, herein, stoßen ihn brutal in den Käfig. Zu einem stampfenden Beat entringen sich seinen sinnlichen Lippen mehr gesprochene als gesungene Worte, ein Gestammel von Freiheit, das seine Anbeter in Raserei versetzt.

Steve Shorters Geldgeber erkennen bald, daß die Härte ihres Schützlings nicht mehr zieht. Man macht aus ihm einen weichen, freundlichen Jungen, und, um ein ganz neues Publikum zu gewinnen, verbündet man sich mit der Kirche. In einer Massenveranstaltung in einem Stadion wird der neue Steve Shorter präsentiert. Neben einem riesigen, von Leuchtstoffröhren erleuchteten Kreuz sinkt er in die Knie und murmelt im Beat-Rhythmus Religiöses. Lahme und Kranke werden in Rollstühlen ans Podium gefahren, sie werfen ihre Krücken weg und versuchen zu gehen. Ausbrüche scheußlicher religiöser Ekstase versetzen das Stadion in einen Taumel.

Steve erhält den Schallplatten-„Oskar“. Immer unsicherer, immer nervöser geworden, bekommt er bei der Preisverleihung vor den Kameras kein Wort heraus und stößt schließlich bittere Haßtiraden gegen die Leute hervor, die ihm so frenetisch applaudieren.

Auf ungefährliche, kalkulierte, vorgeformte Aktionen eintrainiert, hat er sich gehen lassen und damit ein Grundgesetz des Show-Business verletzt. Die Bosse lassen Steve fallen. „Privilege“ ist der erste Kinofilm von Peter Watkins. Wie in seinen Fernsehfilmen überträgt er Methoden der Dokumentation, der Wochenschau, des Interviews auf den Film. In der Neugier für alle Formen der Massenhysterie liegt die Stärke dieses Films und auch seine Schwäche. Er geht nicht einem Symptom nach, sammelt lediglich auf, gibt ein Panorama der Massenerscheinungen. Als kirchlicher Agitator taucht ein Prediger mit eindeutig faschistischem Vokabular auf. Konsumgewohnheiten, religiöse Hysterie und Faschismus, Massenerscheinungen ganz verschiedenen Ursprungs, werden als eine Sache betrachtet.

Voreilig werden da Querverbindungen zwischen Dingen gezogen, deren Gemeinsamkeit erst noch zu beweisen wäre.
Und dann vermischt sich der Aufstand des einsamen Sängers (Tom Jones) auch noch mit einer Neigung zu einer Malerin (Jean Shrimpton). Indem er seinen Bossen das Geschäft vermasselt, rettet er seine Individualität. So einfach ist das wohl nicht, selbst die am stärksten kommerzialisierten Pop-Sänger, die Beatles, haben sich noch anarchistische Züge erhalten.

Dennoch war „Privilege” einer der wichtigsten Filme in Cannes‚ vielleicht der formal wichtigste überhaupt. Denn Peter Watkins wendet als erster Filmer konsequent Techniken und Methoden des Fernsehens aufs Kino an.