Mamma Roma

Mittwoch, 9.7.1969 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Mamma Roma

Programmheft SoSe 1969:

Als ihr Zuhälter Carmine heiratet, ist die Prostituierte Mamma Roma (oder „Mamma Ro’ “, wie es im Dialekt heißt) frei, ihr Metier aufzugeben und ihren Sohn Ettore, der auf dem Lande herangewachsen ist, zu sich nach Rom zu holen. Sie hat genug gespart, um in eine ordentliche Neubauwohnung zu ziehen und auf dem Markt einen Stand eröffnen zu können. Ettore jedoch schließt sich einer Bande junger Gauner an und bestiehlt seine Mutter, um Bruna, dem gemeinsamen Mädchen der Bande, Geschenke machen zu können. Ein Priester rät Mamma Roma, Ettore einen Beruf lernen zu lassen‚ aber sie will für ihren Sohn ein besseres Leben als das eines Maurers oder Mechanikers. Mit ihrer ehemaligen Kollegin Biancofiore verschwört sie sich, um einen Gastwirt zu erpressen‚ daß er Ettore bei sich einstellt, in der Hoffnung daß dieser die Tochter, das einzige Kind des Gastwirts‚ heiraten und so das gutgehende Restaurant erben wird. Doch verläßt Ettore seine Arbeitsstelle sehr bald und kehrt zu seiner Bande zurück. Zugleich taucht Carmine wieder auf, um Mamma Roma erneut auf den Strich zu schicken. Ettore erfährt von dem anrüchigen „Vorleben” seiner Mutter, verübt, mehr aus Trotz gegen sein Schicksal und obwohl er krank ist, einen riskanten Überfall, wird erwischt und, als er im Gefängnis rebelliert‚ auf einer „Besserungsbank“, einem mittelalterlichen Zuchtinstrument, festgeschnallt. Dort stirbt er, während seine verzweifelte Mutter versucht. sich aus dem Fenster zu stürzen.

Fehlendes Klassenbewußtsein kennzeichnet das Subproletariat. Es ist den Lebensbedingungen und dem Bewußtsein nach auf einem vorindustriellen Stand stehengeblieben und konserviert Verhaltensweisen, die es in Widerspruch zur bestehenden Ordnung bringen müssen. In Italien, wie in Spanien und auf dem Balkan, reiche die „Dritte Welt”‚ sagt Pasolini. reiche der unterentwickelte Teil der Erde, der bisher von der industriellen Revolution ausgeschlossen ist, tief nach Europa hinein. Es gibt keine Hoffnung für die Accattones und Ettores. Selbst wenn es ihnen gelingt, mit freibeuterischen Methoden zu Besitz zu kommen, fehlt ihnen der Sinn für die sozialen Realitäten, das Instrumentarium der Begriffe, der Wirklichkeit habhaft zu werden. Ebenso wie an der Verstrickung In ihr Prostituiertendasein scheitert Mamma Roma an ihrer falschen Einschätzung Ettores und seiner sozialen Möglichkeiten.

Enno Patalas aus „Filmkritik” 9/66