
Programmheft SoSe 1976:
Chabrols in der Darstellung der bürgerlichen Moral bisher radikalster und pessimistischter Film, in dem die kriminalistische Geschichte - der Mord eines durch Ehebruch schuldig gewordenen Familienvaters an seiner Geliebten — die Ausweglosigkeit doppelbödiger Moralvorstellungen signalisiert. Der Film erreicht eine so vollkommene Entsprechung von Form und Sujet‚ daß allein die Präzision der ineinander verwobenen Aktionen, Dialoge und Kamerabewegungen trotz des deprimierenden Gegenstandes den Eindruck der Leichtigkeit und Eleganz vermitteln.
Mehr noch als in den vorangegangenen Filmen ist die, wie stets bei Chabrol‚ kriminalistische Geschichte von den nacherzählbaren Fakten weginzeniert. Das Schwergewicht liegt umsomehr bei der psychologischen Entwicklung der zentralen Figuren, weil hier zum erstenmal der Konflikt nicht aus der Konfrontation zweier gegensätzlich eingestellter Charaktere resultiert: Charles Massen, wohlhabend und durchaus glücklicher Familienvater, hat ein heimliches Verhältnis mit der masochistisch veranlagten Frau seines besten Freundes. In einem plötzlichen Impuls erwürgt er sie und entfernt sich ungesehen. Während er die Ratlosigkeit und Trauer des Freundes und der eigenen Familie über den Mord aus unmittelbarer Nähe miterlebt, steigern sich Abscheu vor sich selbst und Schuldgefühl in solchem Maße, daß er seiner Frau erst den Ehebruch, später auch den Mord eingesteht. Doch die verständnisvolle Reaktion der allein um den Erhalt der Familie besorgten Frau verschafft ihm keine Erleichterung. Um sich selbst zu strafen, gesteht Charles auch dem Freund, doch auch dieser empfindet keine Rachegefühle.
Allein gelassen mit seiner Schuld und unfähig, sie ungesühnt zu akzeptieren, beschließt Charles, sich trotz der Beschwörungen seiner Frau der Polizei zu stellen.
ATLAS-VERLEIHKATALOG 75 / 76