Programmheft WS 1960/1961:
Im Stummfilm hatte Chaplin seine künstlerische Ausdrucksform gefunden". Die Stimme fand er überflüssig. „Sie ist künstlerisch ebenso störend wie die Farbe auf einer Statue. Ebenso gut könnte man den Wangen eines Marmorbildes Rouge auflegen. Wenn schon Ton — dann kann man auch gleich Theater machen. Der Phantasie bleibt nichts übrig." Und zu einem Reporter: „Tonfilm? Schreiben Sie, daß ich ihn verachte! Er kommt und vernichtet der Welt älteste Kunst, die Kunst der Pantomime. Er zerreißt böse das große, schöne Schweigen...”
„Sechzehn Jahre des‚ großen, schönen Schweigens‘ hat Chaplin genutzt, um eine Rummelplatzsensation in eine Kunstform zu verwandeln. Aber obgleich er sie zu einer Kunstform machte, hat er sie nicht entleert von der guten Zirkusatmosphöre, hat er ihr nichts von der ursprünglichen Vitalität genommen...Bevor er seinen ersten Tonfilm (Lichter der Großstadt, 1931) drehte, in dem er den Ton negierte und pantomimisch überwandt, brachte er 1928 ,Zirkus' heraus, der einige seiner komischsten Einfälle enthält...
Auch hier wieder ist die typisch Chaplinische Schlußabblende von seinem eigenen poetischen Charme. Der Zirkus hat abgebaut. Die Wagen verschwinden aus dem Bild. Chaplin steht in dem markierten Sandring, der bis vor kurzem noch die Arena vorstellte. Er hebt einen liegengebliebenen Papierstreifen auf, schlenkert ihn melancholisch in der Hand, wirft ihn mit einer traurigen Geste fort und macht sich auf, in den Horizont zu wandern, in die freie lichtüberstrahlte Rückzugslinie, von der er am Ende aller seiner Filme Gebrauch macht."
(Friedrich Luft „Vom großen schönen Schweigen”, Berlin 1957)