Train de vie

Dienstag, 2.11.1999 20:00 Audimax
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Nominiert für den europäischen Filmpreis, weltweit von Kritik und Publikum gefeiert - doch in Deutschland noch ohne Verleih: Wir freuen uns, die (in jeder Hinsicht Benignis "Das Leben ist schön" zumindest ebenbürtige) Tragikomödie "Train de vie" nach langen Verhandlungen in Darmstadt - als dritte Kinoaufführung in Deutschland - präsentieren zu können.

"Chaplin hatte es seinerzeit als erster gewagt, Hitlers Gewaltherrschaft mit parodistischen Mitteln der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch "The Great Dictator" entstand in den Jahren 1938 bis 1940, als noch kaum jemand die tatsächliche Dimension erahnen konnte, die der Holocaust im Verlauf des Krieges erreichen sollte. Dasselbe gilt für Ernst Lubitschs Politkomödie "To Be Or Not To Be" aus dem Jahr 1942, in der es einer Gruppe antifaschistischer polnischer Schauspieler gelingt, in den Gestapo-Uniformen eines Theaterstücks in die Freiheit zu entkommen. Nun greift, über ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende, der seit 1980 in Frankreich lebende Rumäne Radu Mihaileanu die Grundidee von Lubitschs Klassiker wieder auf: In "Train de vie" versucht die jüdische Bevölkerung eines rumänischen Dorfs der drohenden Deportation durch die Deutschen dadurch zu entgehen, dass sie sich einen Eisenbahnzug organisiert und den Verfolgern ihre eigene Deportation vorspielt. Zu diesem Zweck steckt sich eine durch den Rabbi bestimmte Gruppe in selbstgenähte deutsche Uniformen, während die andern die Rolle der Opfer übernehmen - in der Hoffnung, auf diese Weise nach Palästina zu entkommen.

Anders als Chaplin und Lubitsch entwickelte Mihaileanu, der selber jüdischer Herkunft ist, sein Drehbuch im vollen Bewusstsein des Ausmasses der historischen Tragödie. Er setzt dem Irrwitz der Realität den Irrwitz seiner Fiktion gegenüber; "Train de vie" lebt von einem aus der Situationskomik entwickelten treffsicheren Witz. Dabei werden die grotesken, absurden und komischen Elemente nie zu einem Akt der Verdrängung oder gar der Verharmlosung, sondern zu einem genuinen Ausdruck jüdischen Wesens. Dass zu dessen Ergründung der Witz allein nicht ausreicht, war auch Mihaileanu klar. Er durchmischt die satirischen Elemente seines Films deshalb mit solchen der jiddischen Folklore.

Die Spannung des Films entsteht nicht nur durch die brenzligen Situationen, in denen der nirgends registrierte Zug die deutschen Sperren als "geheime Reichssache" zu passieren versucht, sondern ebenso durch die Konflikte unter den Flüchtlingen selbst. Jene, die sich als deutsche Offiziere und Soldaten verkleidet haben, nehmen ihre Rollen dermassen ernst, dass sich unter den "Deportierten" bald Widerstand regt. Dieser formiert sich um einen überzeugten Kommunisten und gefährdet bald das ganze Unternehmen. Hintersinnig wie der ganze Film ist auch das überraschende Finale. "Train de vie" fasziniert sowohl durch die intelligente Gesamtkonzeption als auch durch die stimmigen Details, und nicht zuletzt durch das unwahrscheinliche Fingerspitzengefühl, mit dem der Filmautor die drohenden Klippen der Peinlichkeit zu umschiffen und das Gleichgewicht zwischen Satire und Ernst im Rahmen einer überzeugenden Ensembleleistung seiner Darsteller durchzuhalten verstand." (Neue Zürcher Zeitung)

AH