Carl Theodor Dreyer schuf mit seiner Version einen der berühmtesten Filme aller Zeiten. Die darstellerische Leistung von Maria Falconetti (in ihrer einzigen Filmrolle) gilt heute noch als unerreicht, Kameraführung und Bildgestaltung als wegweisend. Die Zwischentitel sind den Prozeßakten entnommen.
Programmheft WS 1959/1960:
Die Geschichte des Französischen Hirtenmädchens hat vor und nach Dreyer immer wieder Regisseure zu Filmen angeregt, doch keiner reicht an die schlichte Größe dieses Stummfilms heran, die getragen wird von der Regieleistung Carl Th. Dreyers und der schauspielerischen Leistung der Falconetti. Man vergleiche zum Beispiel lngrid Bergmans ewig gleiches, rosiges Gesicht — in Victor Flemings Farbfilm JOAN OF ARC — mit dem in feinsten Nuancierungen spielenden Antlitz der Falconetti.
Das wunderbare Spiel der Falconetti allein macht den Film schon zu einem unvergeßlichen Erlebnis. Wie sehr die ehemalige Revuetänzerin und gefeierte Künstlerin der Comédie Francaise mit ihrer Rolle verschmolzen war, wurde offenbar, als sie kurze Zeit nach der Verkörperung der Jeanne d'Arc im Film die Bühne verließ und in ein Kloster ging, wo sie 1941 in jungen Jahren starb.
Was dem Film historischen Wert verleiht, ist die Kühnheit der Fotografie. Rudolf Mate hat hier die Großaufnahme zur Kunstform erhoben. „Nicht jene Art der Großaufnahme, die irgendwann den Kopf des Stars wie ein Werbeplakat auf die Leinwand wirft, sondern die Großaufnahme als Stilprinzip. Das menschliche Gesicht als der zentrale Schauplatz des Geschehens.” (G. Groll) Und: „Die Geschichte der Johanna, wie Dreyer sie uns darbietet, allen anekdotischen Beiwerks entkleidet, ist ein reiner Kampf der Seelen; aber diese rein geistige Tragödie, bei der sich alle Bewegung innerlich vollzieht, bedient sich als Ausdrucksmittel jener bevorzugten Möglichkeit des Körpers: des Antlitzes. Die Kamera durchdringt in Nahaufnahmen alle Lagen der Physiognomie. Hinter dem Gesicht, das man macht, entdeckt sie das Gesicht, das man hat.” (Andre Bazin)
Bei allem Ruhm, der diesem Film zuteil geworden ist, hat es an kritischen Einschränkungen nicht gefehlt. Man hat ihm den Mangel an äußerer Bewegung vorgeworfen, die nun einmal zu den Funktionsbedürfnissen des Films gehören. Dreyer hat jedoch bewußt darauf verzichtet, und sie nur an wenigen, dramaturgisch wichtigen Stellen zur letzten Bildsteigerung eingesetzt. Als Mangel hat Dreyer hingegen selbst das Unvermögen empfunden, das gesprochene Wort hörbar zu machen. „Dreyer, der echte Haare forderte, hätte auch echte Worte gewollt, und nicht Textstreifen”, stellt Georges Sadoul fest und bedauert, daß die zwischen die Bilder geschnittenen Textstreifen „den bewundernswerten Rhythmus der Großaufnahmen” unterbrechen. Doch für den Künstler Dreyer bedeuten die Textstreifen nicht nur Ersatz für den hörbaren Dialog, sondern dramaturgischen Effekt: Schwarze Schriftzüge auf-weißem Grund, kurze Sätze mit andeutenden Kohleskizzen, geben dem Zuschauer die Möglichkeit zur Distanzierung und Besinnung. Oertel bezweifelt sogar, daß der Ton für diesen Film eine Steigerungsmöglichkeit gewesen sei. War das Wort nicht überhaupt überflüssig? „Den Inhalt des Geschehens kennt die Welt seit Jahrhunderten. Vor dem lnquisitionstribunal in Beauvais und dann in Rouen steht das von Gott und seiner Mission erfüllte Mädchen Johanna, gefoltert, geschmäht, verhöhnt, aber nicht bereit, sich selbst als Ketzerin und Abtrünnige zu bezeichnen. Sie bleibt standhaft bis zum bitteren Ende auf dem Scheiterhaufen, Was bedarf diese Geschichte noch der Worte?" Oertel vergleicht den Film mit Shaws „Heiliger Johanna”, deren wortreichste Stellen er als schwächste empfindet, und sieht ähnliche künstlerisch-psychologische Momente, wie sie die Wirkung dieses Films ausmachen, in der Malerei, z. B. bei Grünewald (Geißelung Christi): „Eine Binde ist über das Gesicht des Erlösers gedrückt und verhüllt seine Augen, der Anblick seines Schmerzausdruckes wird uns entzogen. Der Künstler verlangt von uns, daß wir die letzte Steigerung des Schmerzes in unserer eigenen Phantasie vollziehen."
Vorfilm: Visite a Picasso (Besuch bei Picasso)