Samstagnacht bis Sonntagmorgen

Mittwoch, 16.12.1964 21:00  ! Köhlersaal
21:00 Samstagnacht bis Sonntagmorgen

Programmheft WS 1964/1965:

Die zeitgenössische Realität, die Darstellung des Milieus, durch die sich die Free-Cinema-Regisseure zum Teil ihren Weg nach oben gebahnt haben, wird zum Thema ihrer Filme. Griff Jack Clayton in seinem Film »Der Weg nach oben« noch auf einen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen kommenden Helden zurück, so stellt Karel Reisz in »Samstagnacht bis Sonntagmorgen« einen proletarischen, rebellischen Arbeiter, Arthur Seaton, in den Mittelpunkt des Geschehens. Arthur ist kein Revolutionär. Anarchist aus Verantwortungslosigkeit, geht er in seinem Aufbegehren nicht über spontane Äußerungen des Unbehagens hinaus: ein scharfes Wort gegen den Vorgesetzten oder einen Steinwurf nach dem Schild eines Baugeschäftes, dem Symbol des Reichtums. Er ist ein geschickter Arbeiter, der tagsüber an der Werkbank seinen Akkord ableistet und dann zum Wochenende »was vom Leben haben will. Alles’ andere ist Käse!« Die Hauptsache ist ihm sein Vergnügen, der Kino-Abend mit dem Platz in der letzten Reihe, das Saufduell in der Kneipe und die Nächte mit der erfahrenen um etliche Jahre älteren Frau eines Arbeitskollegen. Für Politik interessiert er sich nicht sonderlich, wenn er auch die sozialen Vorzüge des Wohlfahrtsstaates zu schätzen weiß. Ein indifferenter stets grantiger Held, der auf alles schimpft und sein Leben genießen will, wie es ihm gefällt. Das Ende des Films eröffnet einen zwiespältigen Aspekt auf seine zukünftige Ehe mit Doreen, einem Mädchen‚ das seiner stillen Sehnsucht entspricht:

Er wirft einen Stein nach dem Schild einer Baufirma, von deren Häuschen er vielleicht eines beziehen wird. »Tu doch nicht so was Sinnloses«, wirft ihm seine Braut vor. Arthur: »So etwas werde ich noch öfter tun, daran mußt du dich gewöhnen.« Die Haltung ist natürlich nicht neu, doch wirkt sie in diesem Film belebt von neuer Vitalität und neuem Milieu. Dort, das wird sofort deutlich, kennen sich die Regisseure aus. Mit einem ungestümen Realismus zeichnen sie diese Umgebung mit all ihren Brutalitäten ab.

Das Geschehen ist dramaturgisch geschickt arrangiert.
Kamera, Bild- und Tonmontage betonen es wirksam. Den Schauspielern wird ein differenziertes Spiel abverlangt.
Das Ergebnis ist jene Art von Realismus, bei dem sich die Form dem Inhalt anpaßt. So ist das Schuß-Gegenschuß-Verfahren bei Dialogen und die Verlegung einer dramatischen Szene auf einen Jahrmarkt, dergestalt, daß innere und äußere Bewegtheit miteinander korrespondieren, ein deutlicher Beweis für diesen Stil. Ein Stil, der den Zuschauer zur Identifikation mit dem Geschehen anhält.

Karel Reisz beweist in diesem Film seine außerordentliche Beobachtungsgabe für die soziale und ideologische Realität, die schon in seinen ersten Dokumentarfilmen (Momma Don’t Allow; We Are The Lambeth Boys) hervorstach und seine Fähigkeit, das menschliche Verhalten in der modernen Gesellschaft zu schildern. Er referiert Lebensumstände und Gebaren seines Helden präzis und nuanciert, ohne das intellektuelle Pathos Osbornes und Richardsons, dabei aber mit Wahrhaftigkeit in der Schilderung des industriellen Alltags und mit entschiedenem Engagement an der Sache des Individuums, das diesem Alltag unterworfen ist.